Vorbemerkung
Heinrich Heine gerecht zu werden fällt mir schwer. Er war dem Schreiben verfallen, hat neben Lyrik und Prosa viele Briefe geschrieben und war als Journalist tätig. Und noch viel mehr als er selbst, wurde über ihn geschrieben. Selbst ernannte Heine Kenner gibt es unzählige und jeder weiß es besser als der andere. Es werden Thesen aufgestellt und Antithesen. Mal wird er in jenes Lager gesteckt, mal in dieses. Mir schwirrt der Kopf. Der Stapel Bücher vor mir ist mit Merkern versehen, fast so viele wie Seiten. Es gäbe so manches zu berichten, doch nichts Neues. Mein Kopf ist schwer und nicht so klug wie die der anderen. Gehe ich in mich, höre ich eine leise Stimme, die meines Herzens. Was empfinde ich, nachdem ich mich seit Tagen durch seitenweises Material gelesen habe? Und tatsächlich ich fühle mich ihm verbunden. Nicht das ich mir anmaße auch nur ansatzweise dem großen deutschen Dichter ähnlich zu sein. Zumal wir weder Religion noch politische Anschauung teilen. Er war ein Mensch, der den Kontakt mit anderen gesucht hat. Er liebte sein zu Hause, seine Familie und trotzdem hat es ihn immer hinaus in die Welt gezogen. Auch möchte er es alleine in der Natur zu sein. Egal wo, immer hat er wie ein Schwamm alles, seine Mitmenschen, die Umgebung in sich aufgesaugt. Ihm platze schier der Kopf vor Ideen, die die Hand kaum schaffte aufs Papier zu bannen. Selbst als er durch eine schwere Krankheit seiner Beweglichkeit beraubt war, schrieb er weiter, und als das nicht mehr ging, diktierte er Sekretären seine Gedanken.
Nicht das Schreiben um des Schreibens willen war ihm wichtig. Er wollte gelesen werden, seine Gedanken teilen, Missstände anprangern, aber auch gefallen. Da er getaufter Christ war, stelle ich mir vor, wie er dort oben im Himmel sitzt und auf uns herabschaut. Ich hoffe, dass er das, was er sieht nicht allzu schwer nimmt und immer ein Stückpapier und einen Stift zur Hand hat, um seinen Gedanken aufzuschreiben. Ohne Zensur, denn die ist nicht göttlich.
Nachdem ich nun meine Gedanken geordnet haben, bleibt noch Folgendes, worüber ich schreiben möchte:
Heinrich Heine und seine Lieben
Am 13. Dezember 1797 wird Heinrich Heine unter dem Namen Harry Heine in Düsseldorf geboren. Als erster Sohn von Samson und Betty Heine, beides Juden. Zu dieser Zeit gibt es kein Getto in Düsseldorf, und somit nicht die üblichen Beschränkungen wie zum Beispiel die nächtliche Ausgangssperre. Sein Vater stammt aus Hannover. Als junger Proviantmeister der britischen Armee kommt Samson Heine nach Düsseldorf. Dort lernt er Heinrichs Mutter kennen. Peira von Geldern, die sich Betty nennt, entstammt einer angesehenen jüdischen Ärzte-, Bankiers- und Gelehrtenfamilie. Ursprünglich aus den Niederlanden, waren die von Geldern Ende des siebzehnten Jahrhunderts nach Düsseldorf übersiedelt. Betty ist fünfundzwanzig und ledig, ungewöhnlich für ein jüdisches Mädchen. Sie hat ihren Vater und Bruder bis zum Tod gepflegt und ist nun allein. Samson tritt zur richtigen Zeit in ihr Leben und er sieht gut aus. Sie beschließt ihn zu heiraten, gegen den Widerstand der Stadt Düsseldorf und der dortigen jüdischen Gemeinde.
Betty liebt ihren Erstgeborenen, wünscht sich nur das Beste für ihn und auf keinen Fall soll er Dichter werden. Zeitlebens nimmt sie Einfluss auf ihn, besonders bei seiner Berufswahl. Als Napoleon die Gleichstellung der Juden befiehl, schickt sie ihren Sohn auf das Lyzeum, ein französisches Gymnasium. Neben Geometrie und Statik steht auf dem Lehrplan auch die französische Poesie, gereimtes Rülpsen. Welch ein schrecklicher Alp!. Heine liebt seine Mutter ungefähr so wie Napoleon, lebenslänglich, ihre Herrschaft ist eine Vernunftherrschaft. Er folgt ihrem Willen, doch meist fehlt ihm das nötige Durchhaltevermögen. Ich folgte gehorsam ihren Wünschen, jedoch gestehe ich, dass sie schuld war an der Unfruchtbarkeit meiner meisten Versuche und Bestrebungen in bürgerlichen Stellen, da dieselben niemals meinem Naturell entsprachen. Andererseits gesteht er seiner Mutter zu: über meine wirklich Denkart hat sie sich nie eine Herrschaft angemaßt. Und vom Totenbett schreibt er ihr: ...und wenn Dir die Dinge manchmal nicht zu Wunsche gehen, so tröste Dich mit dem Gedanken, daß wenige Frauen von ihren Kindern geliebt und verehrt worden sind, wie Du es bist und wie Du es wahrlich zu sein verdienst, Du meine liebe, brave, rechtschaffene und treue Mutter. Was sind die anderen in Vergleich mit Dir.
Samson Heine ordnet sich seiner Frau unter. Nach der Hochzeit verkauft er seinen gesamten Besitz, der ausschließlich aus Reitpferden und Jagdhunden besteht, weil diese seiner Frau missfallen. Heine sagt über ihn, er war von allen Menschen derjenige, den ich am meisten auf dieser Erde geliebt. Was gefiel ihm am Auftreten seines Vaters, über den er sagt: Eine grenzenlose Lebenslust war ein Hauptzug im Charakter meines Vaters. Er war genußsüchtig, frohsinnig, in seinem Gemüt war beständig Kirmes... Immer himmelblaue Heiterkeit und Fanfaren des Leichtsinns. Eine Sorglosigkeit die des vorherigen Tages vergaß und nie an den kommenden Morgen denke wollte. Beneidete er ihn um seine Naivität? Zu leben um des Lebens willen?
Es gibt andere Männer, an denen sich Harry lieber orientiert. An dem Bruder seiner Mutter, Simon van Geldern, beeindruckt Harry besonders dessen Lebenslaufbahn, denn es gab keine. Der Onkel führt ihm vor, was es heißt ein geistiger Mensch zu sein, obwohl ihm das Denken Mühe macht. Nebenbei gesagt, kostet ihm nicht bloß das Schreiben, sondern auch das Denken die größte Anstrengung. Kein Wunder, dass Betty sich für ihren Sohn etwas Bodenständiges wünscht. Der Bruder seines Vaters Salomon Heine spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Salomon finanziert ihm die Ausbildung und das Leben. Doch wichtiger als das Geld war Heine die Anerkennung des Onkels. Als er Ende 1844 die Nachricht von Tod des Onkels erhält, schreibt er: Ach, mit dem Oheim erlosch der Stern meines Glückes. ... Dieser Mann spielte eine große Rolle in meiner Lebensgeschichte und soll unvergeßlich geschildert werden. Welch ein Herz! Welch ein Kopf!
Von seinen Geschwistern ist ihm die Schwester Charlotte am liebsten. Bis an sein Lebensende trägt er ihr Bild bei sich, kann nicht verschmerzen, dass sie einen anderen heiratet. Den renommierten Hamburger Kaufmann Moritz Embden. Später bricht sie mit ihm, wegen seines Haders auf ihren Mann. Am Sterbebett darf er sie wieder in die Arme schließen. Seine beiden jüngeren Brüder erfüllen die Träume ihrer Mutter. Gustav wird österreichischer Offizier und Maximilian Militärarzt im Dienst des russischen Zaren. Beide werden geadelt.
Um Mutter und Onkel gerecht zu werden, beginnt Harry eine kaufmännische Lehre, zunächst in Frankfurt am Main, dann unter der Aufsicht des Onkels in Hamburg. Im Mai 1818 eröffnet das Manufakturwarengeschäft "Harry Heine & Comp.“ Nur elf Monate später wird es liquidiert. Samson Heine hat ungedeckte Wechsel auf das Geschäft ausgestellt. Harry geht nach Bonn, um Jura zu studieren. Wechselt im Oktober 1820 nach Göttingen. Er unterbricht das Jura-Studium für vier Jahre, geht nach Berlin. Danach wieder ins verhasst Göttingen. Am 20. Juli 1825 erhält er die Promotion, als Dr. Heinrich Heine, denn am 28. Juni hat er sich auf den Namen Christian Johann Heinrich taufen lassen. Sein Onkel ist angenehm berührt, kann kaum glauben, dass der Langzeitstudent nun endlich den Doktortitel hat. Zur Belohnung darf Heine zur Kur nach Norderney - dort findet er eine neue Liebe - das Meer.
Reinigung
Bleib du in deiner Meerestiefe,
Wahninniger Traum,
Der du einst so manche Nacht
Mein Herz mit falschem Glück gequält hast,
Und jetzt, als Seegespenst,
Sogar am hellen Tag mich bedrohest -
Bleib du dort unten, in Ewigkeit,
Und ich werfe noch zu dir hinab
All meine Schmerzen und Sünden,
Und die Schellenkappe der Torheit,
Die so lange mein Haupt umklingelt,
Und die kalte, gleißende Schlangenhaut
Der Heuchelei,
Die mir so lang die Seele umwunden,
Die kranke Seele,
Die gottverleugnende, engelverleugnende,
Unselige Seele -
Hoiho! hoiho! Da kommt der Wind!
Die Segel auf! Sie flattern und schwelln!
Über die stillverderbliche Fläche
Eilet das Schiff,
Und es jauchzt die befreite Seele.